Heinrich Gleißner

1893-1984

 

Heinrich Philipp Gleißner wurde am 26. Jänner 1893 in Linz geboren. Sein Vater war einfacher Werkmeister in der Lokomotivfabrik Kraus, trotzdem ermöglichten die Eltern unter großen Opfern allen acht Kindern ein Studium. Nach seiner Matura am Humanistischen Gymnasium auf der Spittelwiese in Linz, die er 1912 mit Auszeichnung bestand, studierte Heinrich Gleißner Rechtswissenschaften an der Karls-Universität in Prag. Er war übrigens Mitglied der K.ÖSt.V. Nibelungia 1901 zu Linz im MKV und in der K.D.St.V. Saxo-Bavaria Prag im CV. Vom Studium weg wurde er bei Kriegsbeginn 1914 als Kadett der Reserve zum k.k. Landesschützen-Regiment Nr. III – später in Kaiserschützenregiment umbenannt – eingezogen. Nach entsprechender Ausbildung zum Zugskommandanten einer MG-Abteilung kam er im März 1915 an die Ostfront, wo ihm das Kunststück gelang, gleich als erste Kriegsauszeichnung die Goldene Tapferkeitsmedaille zu erringen.

Die Landesschützen Anfang 1915 waren in den Raum des wichtigen Brückenkopfs Zaleszczyki (Westgalizien) vorgedrungen. Bei Kadobestie warfen sie vereint den russischen Feind und erreichten beinahe das scharfe Knie des Dnjester, wo zwei Brücken die Verbindung zur Stadt Zaleszczyki herstellten. Man sah die Stadt nicht, denn sie lag tiefer als die beiden Dörfer Zwiniacze und Kryszczatek, die von den Landesschützen eingeschlossen waren, aber trotz mehrfacher verbissener Versuche nicht genommen werden konnten. Das III. Regiment unter Oberstleutnant Hadasczok hielt den westlichen Flügel vom Dnjester bis über die Ortschaft Zwiniacze hinaus umklammert, den Südflügel längs der tief verlaufenden Straße, die nach Zaleszczyki führte, hatte das II. Regiment besetzt. Östlich schloss das 3. Feldbaon des II. und eine Kompanie des III. Regiments an. Das Oberkommando über den Ostflügel hatte Major Robert Prohazka inne.

Die, in vielen Nächten durchgeführte Rekognoszierungsarbeit des Majors Prohazka, der als Bataillonskommandant persönlich immer wieder Streifungen im Vorfeld unternommen hatte, zeigte Erfolg. Er fand zwischen den Fronten große, dolinenartige Mulden, die als Ausgangspunkte für einen Handstreich geeignet schienen, auch eine günstige Tageszeit konnte ermittelt werden, nämlich die fünfte Morgenstunde, in der die Russen die vordersten Gräben verließen um heißen Tee zu fassen.

Major Prohazka wollte über 500 Meter eingesehene Wiesenfläche hin den Angriff vortragen! Kein Wunder, dass weder die Brigade noch die Division diesem sehr kühnen Plan zustimmen wollte. Doch Major Prohazka führt ihn ohne Befehl, eigentlich sogar gegen die ausdrücklichen Anweisungen der höheren Kommanden trotzdem durch – getreu dem Motto „Maria Theresien-Orden oder Kriegsgerichtsverfahren“. Doch Major Prohazka hatte Glück, der um 4.30 Uhr morgens am 8. Mai 1915 begonnene Handstreich glückte, die völlig überraschten, russischen Infanterie-Regimenter 327 und 328 wurden vernichtet, 30 Offiziere und 4.000 Mann wurden gefangen, 21 Maschinengewehre und umfangreiches Kriegsmaterial fiel in die Hände der Landesschützen. Am Morgen des 9. Mai zogen die Landesschützen in das festlich geschmückte Zaleszczyki ein.

Für diese Waffentat erhielt Major Robert Prohazka später das Ritterkreuz des Militär-Maria Theresien-Ordens und insgesamt fünf Landesschützen die Goldene Tapferkeitsmedaille. Kadett der Reserve Heinrich Gleißner, der als Stellvertreter dem Zugskommandanten Leutnant Krünes der MG-Abteilung des 3. FeldBaons des III. Regimentes eingeteilt war, war einer davon. In seinem Belohungsantrag heißt es:

Kdtt. Gleißner stürmte am 8. Mai 1915 mit seinem Zuge die Höhe östlich St. Jan bei Zaleszczyki, drang trotz Hindernissen und Tretminen in die feindlichen Gräben ein, eröffnete das Feuer auf einen Stützpunkt der hinter der feindlichen Stellung lag, brach mit einer Patrouille gegen die Hindernisse des Stützpunktes vor, durchschnitt im lebhaften Infanteriefeuer das Hindernis und drang in den Stützpunkt ein. Herbeieilende starke Reserven, die den Stützpunkt wieder gewinnen wollten, wurden derart beschossen, dass sie nicht mehr zurückkonnten und sich ergeben mussten.

Die Verleihung erfolgte mit Allerhöchster Entschließung vom 10. Juni 1915 und wurde am 3. Juli im Landwehr-Verordnungsblatt publiziert. Bereits wenige Monate später erwarb, mittlerweile zum Fähnrich der Reserve befördert, Heinrich Gleißner die Silberne Tapferkeitsmedaille 1. Klasse. Im Belohnungsantrag hierzu heißt es:

Fhr.d.Res. Gleißner zeichnete sich am 21. Oktober 1915 als Kommandant auf der Schönleithen-Spitze durch tapferes Verhalten und zähes Ausharren im heftigsten Maschinengewehr- und Artilleriefeuer besonders aus, obwohl die Besatzung – durch Reserven fortwährend genährt – nahezu kampfunfähig war. Zurückschlagen zweier feindlicher Angriffe; gab durch sein Verhalten der ermatteten Mannschaft ein glänzendes Beispiel eiserner Pflichterfüllung und Standhaftigkeit, was zur Besiegung des Feindes führte. Nahm am 23. November unter schwierigen alpinen Verhältnissen die Höhe Kote 2727 (Schönleithenscheid). Steht seit März laufenden Jahres ununterbrochen im Felde.

Obwohl die Verleihung mit Allerhöchster Entschließung vom 10. Dezember 1915 erfolgte, wurde sie erst im Landwehrverordnungsblatt vom 17. Jänner 1917 publiziert. Die Aktion vom 21. Oktober 1915 dürfte auch ausschlaggebend für seine außertourliche Beförderung zum Leutnant der Reserve am 24. Dezember 1915 gewesen sein. Noch einmal sollte sich Heinrich Gleißner in diesem Kriege auszeichnen. Im November 1917 erhielt er die Bronzene Militär-Verdienstmedaille (Signum Laudis), selbstverständlich am Band für Kriegsverdienste mit Schwertern. Der Belohnungsantrag vom 24. August 1917 zeichnet folgendes Bild:

In Anerkennung tapferen Verhaltens und vorzüglicher Dienstleistung vor dem Feinde; Leutnant Gleißner hat im Oktober 1916 die Kämpfe auf Coldose mitgemacht; verhütete durch persönliches Eingreife mit zielbewusstem Maschinengewehr-Feuer das Herankommen feindlicher Reserven beim Angriff am 10. Oktober 1916 auf Busa alta. Beim feindlichen Angriff auf Cancenagol am 6. Oktober 1916 hatte Leutnant Gleißner ebenfalls hervorragenden Anteil. Sein Maschinengewehr-Feuer sperrte dem Gegner den Rückzug, so dass er sich in der Kaiserscharte ergeben musste .

Am 24. Dezember 1916 trug Leutnant Gleißner sehr viel dazu bei, dass der Angriff auf Busa alta missglückte, indem er durch sein persönliches Eingreifen mit Maschinengewehr-Feuer bei Feldwache 9 einen feindlichen Zug Infanterie vollständig vernichtete.

Im Winter 1916/17 hatte er durch außerordentliche Umsicht und persönliches schneidiges Eingreifen sehr viel dazu beigetragen, dass die Naturgewalten nur sehr geringe Opfer forderten. Im Stellungskrieg legte er große Geschicklichkeit an den Tag und baute die Kaiserscharte so aus, dass sie als uneinnehmbar bezeichnet werden kann. Mit großer Umsicht und beispielgebender Tatkraft führt er derzeit das Kommando der MG-Kompanie III/III.

Heinrich Gleißner, der nach Erhalt dieser Auszeichnung kurzzeitig zu einer Ausbildungseinheit im Raume Trient abkommandiert wurde, hatte dort Gelegenheit einige Monate zusammen mit Engelbert Dollfuß zu dienen und so den Grundstein für eine, später auch politische, Freundschaft zu legen.

Durch ein Missverständnis bei der Datumsübermittlung des Waffenstillstandes mit Italien geriet Heinrich Gleißner, wie abertausende Kameraden auch, in italienische Kriegsgefangenschaft, wo er unschuldig ein Jahr seines Lebens verbringen musste. Heimgekehrt, setzte er unverzüglich sein Jusstudium, diesmal an der Universität in Innsbruck, fort und promovierte bereits 1920 ebendort.

Seine berufliche Laufbahn begann Dr. Heinrich Gleißner im Amt der Oberösterreichischen Landesregierung. 1926 heiratete er Maria Weichselbaumer, mit der er vier Kinder hatte. 1930 wurde er Direktor der oberösterreichischen Landwirtschaftskammer, und kurzfristig, einige Monate 1933-1934 Staatssekretär im Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft. Doch nachdem die staatstragende christlich-soziale Partei in Oberösterreich zwischen den beiden ständig stärker werdenden Blöcken der Sozialisten und der Nationalsozialisten drohte zerrieben zu werden, schickte man Dr. Gleißner zurück in seine Heimat.

War er als jüngster Staatssekretär defacto machtlos gewesen, konnte er hier sein politisches Geschick und seine nicht zu leugnende demokratische Gesinnung voll entfalten. Da Oberösterreich das einzige Bundesland war, in dem seit 1861 der Landeshauptmann auch gleichzeitig der Vorsitzende des Landtages war, beseitigte Dr. Gleißner diese undemokratische Personalunion und komplettierte in seinem Bundesland mit der neuen Landesverfassung 1935 somit die demokratischen Einrichtungen. Die eigentliche Großaufgabe, die schrittweise Beseitigung der Arbeitslosigkeit und die Sanierung des Landesbugets war, wenn auch zu wenig beachtet, gar nicht so erfolglos und bereits im Jahre 1937 waren in Oberösterreich die ersten Erfolge seiner Politik sichtbar.

Neben seiner beruflichen Karriere war Dr. Gleißner auch für die Kameraden und ehemalige Frontkämpfer stets engagiert. Er war zu Beginn Landeschef und während der 1930er Jahre bis zum sogenannten „Anschluss“ Bundesführer des „Rings der Goldenen Tapferkeitsmedaille“. In dieser Funktion war er als Vertreter der wohl gewichtigsten Gruppe der Tapferkeitsmedaillenträger maßgeblich an den Verhandlungen bzw. am Zustandekommen des neuen Gesetzes über die jährliche Auszahlung eines Ehrensoldes durch die Republik, als Entsprechung für die früher zugestandene „Zulage“, an die Träger der Goldenen und der Silbernen 1.Klasse, später auch für jene Besitzer der Silbernen 2.Klasse, verantwortlich. Obwohl diese Beträge relativ klein waren, bedeuteten sie doch für manche in der schweren Zeit der allgemeinen Arbeitslosigkeit sehr viel. Zumindest waren sie die erste kleine Anerkennung des Staates für ausgezeichnete Frontkämpfer.

Außerdem gelang es ihm teilweise über die politischen Gegensätze hinweg, unter Beschwörung gemeinsamer Erfahrungen aus dem Weltkrieg, in zahllosen Veteranentreffen eine gemeinsame „österreichische“ Front dem Einfluss aus Deutschland entgegen zu stellen. Mit dieser „Schulter an Schulter“-Politik konnte er den Nationalsozialisten in Oberösterreich empfindliche Niederlagen zufügen.

Es wundert also nicht besonders, dass Dr. Gleißner nach dem Einmarsch der Deutschen Truppen umgehend abgesetzt und bereits am 15. März 1938 verhaftet wurde. Er war bis 1940 zweimal in Konzentrationslagern, Buchenwald und Dachau, und erhielt danach „Gauverbot“ – was bedeutete, dass er sich nicht in Oberösterreich aufhalten durfte und zwangsweise seinen Wohnsitz, zur besseren Beobachtung, in Berlin nehmen musste. In den letzten Kriegstagen gelang ihm auf abenteuerliche Weise die Rückkehr nach Linz wo er sofort Mitglied der von den Amerikanern eingesetzten Beamtenregierung unter Dr. Adolf Eigl wurde.

Im September 1945 nominierten alle drei zugelassenen politischen Parteien Dr. Heinrich Gleißner zum Landeshauptmann. Doch er verhinderte seine Ernennung, er wollte keineswegs ein von der Besatzungsmacht eingesetzter Landeschef werden. Nachdem er zum ersten Mal im November 1945 zum Landtagsabgeordneten gewählt worden war, wurde er schließlich im Dezember zum ersten freigewählten Landeshauptmann Oberösterreichs.

Dr. Gleißner war 1947 in die Bundesparteileitung der neugegründeten Österreichischen Volkspartei (ÖVP) gewählt worden, 1951 wurde er auch Landesparteiobmann für Oberösterreich. Damit wurde er in den nachfolgenden Jahren auch für zahlreiche Entscheidungen der Bundespolitik mitverantwortlich. In diese erste Phase der Nachkriegszeit fiel die Nominierung Gleißners durch die ÖVP als Präsidentschaftskandidat im Jahre 1951. Er bemühte sich, obwohl von linker Seite (ungerechtfertigterweise) mit der „1934-Arbeitermörder-Keule“ eingeschlagen wurde, vor allem einen neuen österreichischen Patriotismus lebendig werden zu lassen. Im ersten Wahlgang vom 6. Mai 1951 erzielte Gleißner mit 40,1 Prozent der Stimmen den höchsten Anteil der insgesamt fünf Kandidaten, unterlag jedoch im zweiten Wahlgang überraschend Theodor Körner mit 47,9 zu 52,1 Prozent.

Die vielen Fähigkeiten Heinrich Gleißners wurden durch eine außerordentliche rednerische Begabung unterstützt. Er hatte fast nie eine schriftliche Unterlage und die freie Rede machte ihm sichtbar Freude. Gleißner konnte als Politiker hart sein, aber auch oft sehr menschlich und geradezu fürsorglich. Er hatte, nicht zuletzt durch die Gespräche während der KZ-Haft mit politisch Andersdenkenden seine Lektion gelernt. Als Landeshauptmann war er stets ein energischer Vertreter des Subsidiaritätsprinzips und für eine Zusammenarbeit, vor allem mit der SPÖ, über die Parteigrenzen hinweg für das Wohl des Landes.

Er trug maßgeblich zum wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Wiederaufbau Oberösterreichs nach dem Weltkrieg und der Besatzungszeit bei und förderte den Wandel des Landes von einem Agrar- in einen Industriestandort. Er besaß ein untrügliches Gespür für die Menschen seines Landes und das politisch Machbare. So ist es nicht weiter verwunderlich, dass er über die Jahre die höchste Auszeichnung, die das österreichische Volk einem Politiker oder Künstler verleihen kann, quasi das inoffizielle Adelsprädikat, erhielt, er wurde einfach „DER Gleißner“.

Eine Aufzählung der Auszeichnungen, die Dr. Gleißner nach dem Krieg erhalten hat würde den Rahmen dieser Publikation bei weitem übersteigen, alleine die zahllosen Ehrenbürgerschaften, Ehrenringe und Ehrenplaketten, sowie Ehrenmitgliedschaften sind kaum zu überblicken. Doch um hier die wichtigsten Dekorationen zu nennen: Großes Ehrenzeichen am Bande des Bundesstaats Österreich (1934), Großkreuz des päpstlichen St. Silvester-Ordens (1953) Großes Goldenes Ehrenzeichen mit dem Stern der Republik Österreich (1954), Großkreuz des griechischen Phönix-Ordens (1957), Großes silbernes Ehrenzeichen am Schulterband der Republik Österreich (1960), Großes Verdienstkreuz mit Stern und Schulterband des Verdienstordens der BRD (1960), Persischer Homayoun-Orden 1. Klasse (1961), Großes Ehrenzeichen des Landes Oberösterreich (1963), Bayrischer Verdienstorden (1967), Medaille Commemorative de Mauthausen (1970) sowie das Ehrenzeichen für Verdienste um die Befreiung Österreichs (1978).

Am 2. Mai 1971 legte Dr. Heinrich Gleißner sein Mandat als Landtagsabgeordneter und seine Funktion als Landeshauptmann zurück und zog sich, immerhin schon 78jährig aus der Politik zurück. Er verstarb am 18. Jänner 1984 in Linz wo er am St.Barbara Friedhof zur letzten Ruhe gebettet wurde.

© Jörg C. Steiner, Wien

 

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