Das MMThO-Kapitel nach 1918 und die Goldene Tapferkeitsmedaille für Offiziere
von Prof. Jörg C. Steiner, MA
Nachdem im April 1914 das letzte inländische Ordensmitglied General der Infanterie Géza Baron Fejérváry de Komlós-Keresztes verstorben war, ergab sich nach Ausbruch des Weltkrieges die einmalige Situation in der Geschichte des Militär-Maria Theresien-Ordens, dass keine Ordensritter zur Bildung eines ordentlichen Kapitels zur Verfügung standen. So wurden in den folgenden Promotionen - 171. (27.8.1914) bis 179. (28.7.1917) - die Ordenszuerkennungen einfach durch Handschreiben der Kaiser, die in Personalunion ja auch Großmeister dieses Ordens waren, erledigt. Am 8. Mai 1917 erging an Erzherzog Friedrich die Aufforderung zur Einberufung einer Kommission zur weiteren Überprüfung der bereits vorliegenden Ansuchen um eine Ordensverleihung (sogenannte: „Ordenseinschreiten“), mit dem Ziel ein statutengemäßes Ordenskapitel einzuberufen. Weitere drei Promotionen, einzelne Verleihungen höherer Stufen, wurden abermals mittels kaiserlichen Handschreiben erledigt, bevor Kaiser Karl am 25. Oktober 1917 Erzherzog Friedrich zum Vorsitzenden im 1. Ordenskapitel ernannte und am 7. November 1917 die übrigen vorgeschlagenen Offiziere genehmigte. Das Ordenskapitel begann seine Tätigkeit am 24. November 1917 und behandelte ca. 270 Ordenseinschreiten. In der Vollsitzung vom 22. Mai 1918 entschloss sich das Kapitel für jene Einschreiten, für die zwar keine Zuerkennung in Frage kommen sollte, die aber trotzdem besonders auszeichnungswürdig wären, eigene Belohungsanträge zu verfassen. Am 9. Juni 1918 erhielt Kaiser Karl den schriftlichen Abschlussbericht des Ordenskapitels. Die zum Ritterkreuz des Militär-Maria Theresien-Ordens vorgeschlagenen Offiziere erhielten mit allerhöchster Entschließung vom 30. Juli 1918 den Orden zuerkannt. Der Vorschlag auf Verleihung anderwärtiger Auszeichnungen sah weiters folgende Verleihung vor: der Goldenen Tapferkeitsmedaille für Offiziere an 12 Offiziere, des Ritterkreuzes des Leopold-Ordens an 6 Offiziere, der 3. Klasse des Ordens der Eisernen Krone an 3 Offiziere und der Silbernen Tapferkeitsmedaille für Offiziere an 7 Offiziere, sowie die Anregung für eine noch zu bestimmende höhere Auszeichnung für den Oberstleutnant im Generalstab Hermann Pokorny, als Belohnung für die Lösung der beiden russischen Chiffreschlüssel. Diese Belohnungsanträge wurden pauschal zurückgewiesen, das Kapitel habe sich nur mit dem Militär-Maria Theresien-Orden zu beschäftige. Nach dem Zusammenbruch der Doppelmonarchie waren natürlich zahlreiche Ordenseinschreiten noch nicht behandelt worden und die Ordenskanzlei versuchte von den neuen Machthabern Auskunft zu bekommen, welche nun die rechtliche Stellung des Ordens, vor allem in der Republik Österreich sei. Das Staatskanzleramt des Staates Deutschösterreich erklärte schließlich im Jänner 1919, dass es die Angelegenheit des Militär-Maria Theresien-Ordens als eine gemeinsame Angelegenheit aller auf dem Boden der österreichisch-ungarischen Monarchie entstandenen Staatengebilde betrachte und stimmte zu, die noch unerledigten Ordenseinschreiten einer Erledigung zuzuführen. Da die Einberufung der Kapitel und die Verleihung der Orden laut Statuten nur vom Großmeister vorgenommen werden konnten, trat die Ordenskanzlei mit Kaiser Karl in Verbindung. Dieser war ja entthront, aber nicht als Großmeister entmachtet worden. Durch Handschreiben vom 23. März 1919 ernannte Kaiser Karl, anlässlich seiner Ausreise in die Schweiz, den Ordenkanzler, Feldmarschall Franz Conrad von Hötzendorf, zu seinem Vertreter als Großmeister, da der Wunsch herrsche noch unerledigte Ansuchen aufzuarbeiten. Insgesamt tagten also zwischen 1921 (3. Ordenskapitel) und 1931 (14. Ordenskapitel) 12 weitere Kapitel, die sich mit den Waffentaten des Ersten Weltkrieges beschäftigten. In diesen Kapiteln erfolgte jedoch keine „Verleihung“ des Ordens bzw. der Goldenen Tapferkeitsmedaille für Offiziere, sondern die vom Kapitel für würdig befundenen Kandidaten erhielten lediglich mit Schreibmaschine geschriebene Dekrete, welche die Bestätigung enthielten, dass das Ordenskapitel eben diese Würdigkeit „ausgesprochen“ habe. Von einer feierlichen Promotion und einer besonderen Publizität der Verleihungen wurde angeblich aufgrund der gegebenen, politischen Verhältnisse Abstand genommen, wohl auch aufgrund der meist mehr als zweifelhaft zustande gekommenen Entscheidungen. Den Kandidaten wurde, soweit sie nach Wien anreisen konnten, die Zuerkennung durch den Ordensgreffier in der Ordenskanzlei am Wiener Minoritenplatz, persönlich übergeben. Die anderen Kandidaten erhielten Ihre Dekrete einfach auf dem Postweg. Viele der so Ausgezeichneten pilgerten danach zu Kaiser Karl ins Exil um auch seine Bestätigung dafür zu erhalten. In einigen Fällen ist bekannt, dass Kaiser Karl offensichtlich die „Verleihung“ einer Goldenen Tapferkeitsmedaille für Offiziere schriftlich bestätigt hat. Da hierbei nicht vermerkt wurde, dass es sich um die Bestätigung einer zuvor vom Ordenskapitel zuerkannten Auszeichnung handelt, konnte der Eindruck entstehen, Kaiser Karl hätte hier initiativ gehandelt. So entstand die Legende, dass Kaiser Karl während der gescheiterten Restaurationsversuche in Ungarn oder zumindest im Zusammenhang damit, Tapferkeitsmedaillen verliehen hätte. Dies ist jedoch zweifellos nicht der Fall gewesen. Von Beginn an wurden durch das Ordenskapitel Vorschriften, gewachsene Traditionen und „ungeschriebene Gesetze“ auf das gröbste missachtet. Versuchte man bei den ersten Kapiteln noch etwas den Anstand zu wahren und vorschriftsmäßig vorzugehen, wurden spätestens mit dem Tode des Monarchen alle Skrupel über Bord geworfen. Die Verletzungen von Vorschriften durch das Ordenskapitel sind wohl in folgenden Punkten gravierenden: > statt wie ursprünglich vereinbart wurden nicht die wenigen Dutzend Ansuchen, die bei Kriegsende vorgelegen waren bearbeitet, sondern letztlich mehrere Hundert später gestellte. > statt wie vorgeschrieben sich nur um die Zuerkennung von Militär-Maria Theresien-Orden zu kümmern, wurden auch Goldene Tapferkeitsmedaillen verliehen. Hierbei wurden die Statuten grob missachtet - es wurden Medaillen zuerkannt für Taten vor dem September 1917 und in zwei Fällen (Charwat und Budiner) die Goldene Tapferkeitsmedaille für Offiziere zum zweiten Mal verliehen. > obwohl eine der Eigenarten des Militär-Maria Theresien-Ordens darin bestand, dass die Offiziere selber um diese Auszeichnung ansuchen mussten - etwas was viele höchst würdige Persönlichkeiten (z.B. Brumowski) davon abhielt - wurde es durch die Nachkriegskapitel zugelassen, dass durch Andere, sogar für Tote, verfasste Ansuchen angenommen wurden. Dies provozierte natürlich sofort einen Konkurrenzkampf zwischen verschiedenen Veteranengruppen welche Einheit, welches Bundesland die meisten Ordensträger bekommen würde. > es wurden in den meisten Fällen Auszeichnungen zuerkannt, für Waffentaten die davor schon zumindest mit einer, manchmal auch schon mit zwei Dekorationen belohnt worden sind. Abgesehen von diesen schweren Vorschriftswidrigkeiten, gab es von Beginn an ein unwürdiges Verhandeln wie im Basar. Wenn Ansuchen nicht von Erfolg gekrönt waren, wurde einfach sooft eingereicht bis es endlich klappte. Alte und senile Generäle und Erzherzöge stellten plötzlich wahllos auf Anfrage Tapferkeitszeugnisse aus, für Personen, denen sie wahrscheinlich davor niemals begegnet waren. Offizierskameraden stellten sich gegenseitig Leumundszeugnisse und Tathergangsbestätigungen als Gefälligkeit aus. Alte Rechungen - im positiven wie im negativen Sinne - wurden jetzt beglichen! Zugehörigkeit zu einer Waffengattung oder einer Nationalität waren plötzlich wichtige Faktoren bei der Entscheidung. Zum Beispiel reichten alle U-Boot Kommandanten - auch für die gefallenen Kameraden - um Zuerkennung des Ritterkreuzes des Militär-Maria Theresien-Ordens ein. Natürlich musste das Ordenskapitel dies ablehnen, da ja grundsätzlich der Kommandant eines Wasserfahrzeuges seine eigenen Entscheidungen trifft, aber es einen allgemeinen Befehl, nämlich die feindlichen Fahrzeuge aufzubringen oder zu versenken, gibt und somit der Umstand für eine Ordenswürdigkeit nicht gegeben ist. Trotzdem wurde allen U-Boot Kommandanten die Goldene Tapferkeitsmedaille für Offiziere zuerkannt. Diese protestierten aufs Heftigste, reichten neuerlich ein und bestanden auf eine Ordensverleihung mit der Hauptbegründung, die Kriegsmarine wäre ohnedies bei der Anzahl der Auszeichnungen sehr benachteiligt worden und es wäre daher nur fair diesen Umstand jetzt durch die Verleihung von Ritterkreuzen zu ändern. Schließlich einigte man sich auf einen Kuhhandel - die Lebenden gaben ihre Dekrete zur Goldenen Tapferkeitsmedaille für Offiziere wieder zurück und bekamen dafür welche für das Ritterkreuz des Militär-Maria Theresien-Ordens, während die posthumen Verleihungen so blieben wie sie waren! Eine ähnliche Vorgehensweise - also zuerst Goldene Tapferkeitsmedaille für Offiziere zuerkennen, dann neuerliches Einschreiten mit der selben Tat und schließlich Aberkennung der „Goldenen“ und Tausch der Dekrete auf ein „Ritterkreuz“ - ist auch in den Fällen von Gustav Sonnewend, Karl Kratochwil de Szent Kereszthegy und Franz Freudenseher zu verzeichnen. Bedeutende Streitfälle waren auch die ablehnenden Entscheidungen der Ordenseinschreiten der Generäle Moritz Ritter von Auffenberg und Alfred Krauss. Trotz dreimaligen Einschreitens der beiden Generäle und zahlreicher oft gehässiger Auseinandersetzungen mit einzelnen Kapitelmitgliedern erfolgte keine Ordenszuerkennung. Politische, weltanschauliche und ehrenrätliche Gründe spielten in diesen Auseinandersetzungen die wichtigste Rolle. Alte, teilweise noch aus der Offiziersakademie stammende, Konflikte wurden hier auf einem anderen Niveau ausgetragen. Ein weiteres Beispiel basarhafter Zustände ist der Fall von Linienschiffsleutnant Josef Veith. Admiral Horthy hatte ihm, bevor er als Kommandant der Kampfgruppe Ancona zu diesem Kommandounternehmen aufbrach, versprochen ihm als Kommandant, wie es auch ausgehen möge, das Ritterkreuz des Militär-Maria Theresien-Ordens zu verschaffen und allen anderen Freiwilligen die Goldene Tapferkeitsmedaille. Abgesehen davon, dass Horthy zu keiner Zeit ermächtigt gewesen wäre so ein Versprechen abzugeben, war es von dem, aus jahrelanger Kriegsgefangenschaft heimgekehrten Veith, auch ziemlich naiv mit dieser Begründung ein Ansuchen zu stellen. In dem entsprechenden Kapitel fiel Horthy buchstäblich über Veith her, zerfetzte sein Ordenseinschreiben bildlich und bezichtigte ihn - in geheimer Sitzung - der Lüge und der totalen Unwürdigkeit für überhaupt alle Auszeichnungen, da das Unternehmen Ancona ja bekanntlich total gescheitert war. Das Josef Veith dafür aber nichts konnte und man einen Skandal vermeiden wollte, wurde im einfach die Goldene Tapferkeitsmedaille für Offiziere zuerkannt. Abschließend vielleicht noch der Fall Franz Kern vom Linzer Infanterie Regiment Nr.14. Dieser hatte für eine wirklich herausragende Waffentat als Oberleutnant das Ritterkreuz des Leopold-Ordens erhalten. Immerhin eine Auszeichnung, für die im Frieden ein 2-Sterne General mehrere Jahre eine Division hervorragend führen musste. Auf Druck des Offizierskorps wurde ihm von Kaiser Karl persönlich für diese Waffentat später noch die 2. Klasse des Ordens der Eisernen Krone verliehen. Natürlich war dies schon vorschriftswidrig, denn für eine Halsdekoration musste die Führung einer selbständigen Einheit (Bataillon oder Regiment) nachgewiesen werden, aber der Kaiser war naiv und lies sich von seinen geliebten Oberösterreichern halt „einkochen“. Doch damit nicht genug, der arme Franz Kern wurde nach dem Krieg von den Kameradschaftsvereinen derart unter Druck gesetzt, dass er auch widerwillig aber doch ein Ordenseinschreiten verfasste! Obwohl er schon zwei Dekorationen für diese Waffentat erhalten hatte und sie ganz eindeutig nicht „auf eigene Initiative“ erfolgt war, musste das Kapitel eine Lösung finden, denn immerhin war Franz Kern nicht nur mittlerweile Oberst der Gendarmerie und Adjutant des Bundespräsidenten, sondern auch mit einer entsprechend einflussreichen oberösterreichischen Lobby ausgestattet. Es blieb also nichts anderes übrig, als Franz Kern 1931 die Goldene Tapferkeitsmedaille für Offiziere zuzuerkennen. Somit sind die drei höchsten Auszeichnungen das (angeblich) höchstdekorierten Subalternoffiziers der k.u.k. Armee alle für ein und dieselbe Waffentat verliehen worden! Zusammenfassend kann also gesagt werden, dass die Verleihungen des Ordenskapitels des Militär-Maria Theresien-Ordens nach Ende des Ersten Weltkrieges zwar durchwegs würdige, tapfere und hervorragende Offiziere betroffen haben, das Zustandekommen der Entscheidungen jedoch als höchst zweifelhaft und fragwürdig abzulehnen ist. Es sollte daher festgehalten werden, dass das Ordenskapitel nach Ende des Weltkrieges, ob jetzt aus Anmaßung oder nicht, von den insgesamt 345 verliehenen Goldenen Tapferkeitsmedaillen für Offiziere immerhin die Mehrheit, nämlich 186, zuerkannt hat. Diese Zuerkennungen sind aber in der großen Mehrheit als vorschriftwidrig zu betrachten, da sie entweder Waffentaten würdigen, die vor dem September 1917 begangen oder solche, die bereits mit einer anderen Auszeichnung gewürdigt worden sind. Ganz abgesehen von den statutenwidrigen Doppelverleihungen. © Jörg C. Steiner, Wien |